
Klaus-R
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Hallo zusammen,
70 Jahre alte Objektive an einer HIGH END Digitalkamera nutzen??? Ist das Unsinn oder vielleicht doch nicht???
Dieser Frage will ich mal nachgehen und ich hoffe, dass Ihr mir mal wieder auf einer meiner kuriosen historischen Exkursionen Lust habt, zu folgen.
Wie es dazu kam???
NICHT MIT ABSICHT ..... ich schwör!!!

Ich will den alten Kram ja gar nicht ... der Kram will mich!

Es war mal wieder ein Zufall .... mal wieder ein Trödelbesuch diesmal in Hamburg. Da lachen mich zwei der oben gezeigten Steinheil Objektive an.
Ich hatte mich mit der Marke STEINHEIL MÜNCHEN nie wirklich beschäftigt, weil Steinheil Wechselobjektive damals schon rar waren und heute kaum zu bekommen.
Wenn überhaupt angeboten, dann zu Mondpreisen, denn alles was selten ist, kommt automatisch teuer.
Steinheil Objektive sind gar nicht selten ... nur deren Wechselobjektive!
Enorm viele Nachkriegs-Sucherkameras und Faltkameras waren mit Steinheil Festobjektiven ausgerüstet. Bekannt war die Marke auch für Großformatobjektive.
Die meisten Steinheils waren "Cassar" oder "Cassarit" gemnannte 45mm oder 50mm Festobjektive für Sucherkameras.
KAMERAGESCHICHTE:
Anfang der 1950er begann man bei Steinheil München eine Baureihe Kleinbildobjektive für die EXAKTA herzustellen. Dementsprechend haben die allermeisten Steinheil Wechselobjektive auch das EXA-Bajonett. Gleichzeitig wurden aber auch kleinere Stückzahlen für das LEICA M39-Bajonett (auch L39-Bajonett genant) hergestellt.
Die geringsten Stückzahlen wurden dann auch noch in M42 ausgeliefert .... die allermeisten mit FEET-Skalen für den Export.
Das Deutschlandgeschäft lief natürlich sehr schleppend. So kurz nach dem zweiten Weltkrieg hatte Anfang der 1950er Jahre kaum jemand das Geld für die damals sündhaft teuren Objektive, die zum Besten zählten, was man für viel Geld kaufen konnte.
Und die Geschäfte liefen bestens! Steinheil konnte bis Mitte der 1960er Jahre die Nachfrage trotz der hohen Verkaufspreise nicht befriedigen .... insbesondere die Wechselobjektive hatten lange Lieferzeiten.
Warum man die Produktionskapazitäten nicht erhöhen konnte, weiß ich nicht ... vielleicht wollte man das gar nicht ... jedenfalls, die Sachen sind selten!
Was ich oben zeige ist also ein superseltenes M42-Set aus vier winzig klein bauenden sehr frühen Kleinbild-Objektiven, die zwischen 1951 und 1955 hergestellt wurden und metrische Skalen haben.
Die Idee, grundsätzlich Doppelskalen (also Meter und Feet) zu prägen, kam erst später ab Mitte der 1950er auf.

WARUM DIESE OBJEKTIVE AN DER GFX???
Ganz einfach .... weil's funktioniert
Ich habe nicht schlecht gestaunt! Nun ist der Bildsensor einer Fuji GFX ja 70% flächengrößer als der einer Kleinbild-DSLR ... aber .... alle vier "STEINHEILIGE" leuchten ihn komplett aus.
Selbstverständlich ist das mitnichten! Die allermeisten Kleinbild-Objektive sind an der GFX nur im KB-Mode zu gebrauchen. Dieses Quartett aber funktioniert an der Kamera mit Vollausleuchtung des Bildsensors.
DAS 35mm "Culmigon" ist eine besonders interessante Optik, weil's eines der allerersten Kleinbild-Weitwinkelobjektive überhaupt war.
Erst im Jahre 1951 wurde es technisch überhaupt möglich, Weitwinkelobjektive für Kleinbild-Spiegelreflex Kameras zu bauen. Das Problem war, dass man wegen des Klappspiegels einen Mindestabstand von etwa 45mm zur Filmebene einhalten musste und so die Rücklinsen der Objektive nicht näher an die Filmebene setzen konnte, was kurze Brennweiten zunächst unmöglich machte.
Im Jahre 1951 erfand dann der Franzose Pierre Angénieux das RETROFOCUS-Prinzip, mit dem sich zunächst einmal 35mm Weitwinkel f:4,5 bauen ließen! Jahrelang gab es keine 35er mit höherer Lichtstärke und auch keine kürzeren Weitwinkel.
In Jena war man schneller .... das UR-Flektogon wurde das erste (ost)deutsche 35mm KB-Weitwinkelobjektiv. 1955 war man dann bei Steinheil auch so weit ..... das oben gezeigte 35mm f:4,5 CULMIGON wurde das erste Steinheil KB-Weitwinkelobjektiv ..... taugt es noch heute??? Wir werden es uns ansehen .... nicht nur an Kleinbild, sogar am FIJI-LARGE FORMAT.

OBJEKTIVE: STEINHEIL MÜNCHEN
Culmigon 35mm f:4,5
Cassar 50mm f:2,8
Culminar 85mm f:2,8
Culminar 135mm f:4,5
Kann's gleich losgehen?? NEIN LEIDER NICHT!
Nach zähen Verhandlungen auf dem Trödel (und ich kann feilschen wie der Getreidehändler
) kommt mir der Verkäufer sehr weit entgegen und ich bezahle für das 35mm Culmigon und das 85er Culminar einen sehr sehr günstigen Preis. Beide Objektive sind in traumhaft gutem Zustand .... glasklare Linsen Fokussierung geschmeidig Blenden wundervoll beweglich schönes Äußeres.
DEAL!
Ich will schon mit meinem Schnäppchen gehen, da ruft mich der gute Mann zurück .... HIER SCHENKE ICH DIR! .... Ich bekomme das defekte 50er Cassar noch dazu, das er hevorgekramt hatte. Die Blende ist kaputt! Lamellen verbogen oder lose im Inneren der Optik .... ich bedanke mich und nehme auch das Cassar gerne mit.
Werde ich es reparieren können?

Und ja ... mit einem Trick kann ich die Blende wieder instand setzen!
Das Problem ist eigentlich ohne Ersatzteile (die es natürlich nicht gibt!) unlösbar! Einmal verbogene Stahlamellen kriegt man nie wieder glatt gezogen.
Sie bleiben immer etwas wellig. Dadurch faltet sich das Lamellenpaket zu dick auf und der Stapel passt nicht mehr zwischen die beiden Führungsscheiben.
Die Blende öffnet nicht mehr, weil die verbogenen Lamellen einfach nicht mehr dazwischen passen wollen.
Ohne Ersatzteil kann man nur eines machen .... eine der Lamellen ausbauen, so dass die verbleibenden dann wieder passen. Oben sieht man, dass weniger mehr ist!
Dass von den ehemals 12 Lamellen jetzt eine fehlt, sieht man nur, wenn man's weiß! Die Blende schließt immer noch FAST kreisrund und öffnet jetzt wieder ganz!


Operation geglückt!
Alte Objektive zu zerlegen ist und bleibt RISKANT! Das erfordert das notwendige Spezialwerkzeug dafür (hat sich bei mir schon sehr gelohnt!) ruhige Hände, viel Geduld
und (ganz klar!) auch Glück! Ich hatte letzteres ... das Objektiv ist wieder einsatzbereit!
Tja .... dann war's ein Trio .... wie wurde es zum Steinheil Quartett??!
Das 135mm Culminar habe ich mir dann im Internet gesucht und gekauft ..... wo die Liebe hinfällt!
Das 135mm kam in sehr gutem Zustand ..... nur die Fokussierung war viel zu schwergängig. Nach 70 Jahren verharzen die uralten Schmierfette leider so sehr, dass es eher in die Richtung Klebstoff geht!
Abhilfe: Natürlich ist es die eleganteste Lösung, die Fokussierung komplett zu zerlegen, zu entfetten und modernes synthetisches Schmierfett einzusetzen.
MACH ICH ABER NICHT GERNE, weil dabei sehr viel schiefgehen kann .... und wenn es nur dazu kommt, dass die Meterskale neu geeicht werden muss!!
Ich habe also nur die Optikeinheit ausgebaut, den leeren Tubus dann im Backofen warm gemacht und in WD40 Kriechöl eingelegt. Dann das Kriechöl in das alte Fett quasi eingedreht und so wieder geschmeidig gemacht .... jetzt läuft die Fokussierung wieder wie in warmer Butter!
SMART REPAIR!

Wird das schöne Quartett an der GFX abliefern? Wir gucken uns das im zweiten Post dann mal zusammen an!
Arbeiten mit den vier Winzlingen:
Reizvoll ist die extreme Kompaktheit dieser vier Objektive, gerade im Vergleich zu den riesigen und klobigen Fuji-Originallinsen .... Abstriche gibt es aber natürlich beim Bedienungskomfort:
Alle vier haben Bokehschöne vielblättrige absolut kreisrund schließende Blenden, die aber natürlich manuell gestellt werden müssen!
Springblende? IST NICHT!
Vorwahlblende? IST AUCH NICHT!
Blendenrastung? GIBT ES NICHT!
Autofokus? DAVON WURDE 30 JAHRE SPÄTER NOCH GETRÄUMT!
Tja .... da muss alles manuell passieren .... echt spartanisch .... aber spannend!

Unterwegs mit den vier STEINHEILIGEN ...... bleibt 'dran ..... es gibt noch Photos zu gucken!
Grüße und schöne Photos
Klaus
70 Jahre alte Objektive an einer HIGH END Digitalkamera nutzen??? Ist das Unsinn oder vielleicht doch nicht???

Dieser Frage will ich mal nachgehen und ich hoffe, dass Ihr mir mal wieder auf einer meiner kuriosen historischen Exkursionen Lust habt, zu folgen.

Wie es dazu kam???
NICHT MIT ABSICHT ..... ich schwör!!!


Ich will den alten Kram ja gar nicht ... der Kram will mich!


Es war mal wieder ein Zufall .... mal wieder ein Trödelbesuch diesmal in Hamburg. Da lachen mich zwei der oben gezeigten Steinheil Objektive an.
Ich hatte mich mit der Marke STEINHEIL MÜNCHEN nie wirklich beschäftigt, weil Steinheil Wechselobjektive damals schon rar waren und heute kaum zu bekommen.
Wenn überhaupt angeboten, dann zu Mondpreisen, denn alles was selten ist, kommt automatisch teuer.
Steinheil Objektive sind gar nicht selten ... nur deren Wechselobjektive!
Enorm viele Nachkriegs-Sucherkameras und Faltkameras waren mit Steinheil Festobjektiven ausgerüstet. Bekannt war die Marke auch für Großformatobjektive.
Die meisten Steinheils waren "Cassar" oder "Cassarit" gemnannte 45mm oder 50mm Festobjektive für Sucherkameras.
KAMERAGESCHICHTE:
Anfang der 1950er begann man bei Steinheil München eine Baureihe Kleinbildobjektive für die EXAKTA herzustellen. Dementsprechend haben die allermeisten Steinheil Wechselobjektive auch das EXA-Bajonett. Gleichzeitig wurden aber auch kleinere Stückzahlen für das LEICA M39-Bajonett (auch L39-Bajonett genant) hergestellt.
Die geringsten Stückzahlen wurden dann auch noch in M42 ausgeliefert .... die allermeisten mit FEET-Skalen für den Export.
Das Deutschlandgeschäft lief natürlich sehr schleppend. So kurz nach dem zweiten Weltkrieg hatte Anfang der 1950er Jahre kaum jemand das Geld für die damals sündhaft teuren Objektive, die zum Besten zählten, was man für viel Geld kaufen konnte.
Und die Geschäfte liefen bestens! Steinheil konnte bis Mitte der 1960er Jahre die Nachfrage trotz der hohen Verkaufspreise nicht befriedigen .... insbesondere die Wechselobjektive hatten lange Lieferzeiten.
Warum man die Produktionskapazitäten nicht erhöhen konnte, weiß ich nicht ... vielleicht wollte man das gar nicht ... jedenfalls, die Sachen sind selten!
Was ich oben zeige ist also ein superseltenes M42-Set aus vier winzig klein bauenden sehr frühen Kleinbild-Objektiven, die zwischen 1951 und 1955 hergestellt wurden und metrische Skalen haben.
Die Idee, grundsätzlich Doppelskalen (also Meter und Feet) zu prägen, kam erst später ab Mitte der 1950er auf.

WARUM DIESE OBJEKTIVE AN DER GFX???
Ganz einfach .... weil's funktioniert

Ich habe nicht schlecht gestaunt! Nun ist der Bildsensor einer Fuji GFX ja 70% flächengrößer als der einer Kleinbild-DSLR ... aber .... alle vier "STEINHEILIGE" leuchten ihn komplett aus.
Selbstverständlich ist das mitnichten! Die allermeisten Kleinbild-Objektive sind an der GFX nur im KB-Mode zu gebrauchen. Dieses Quartett aber funktioniert an der Kamera mit Vollausleuchtung des Bildsensors.
DAS 35mm "Culmigon" ist eine besonders interessante Optik, weil's eines der allerersten Kleinbild-Weitwinkelobjektive überhaupt war.
Erst im Jahre 1951 wurde es technisch überhaupt möglich, Weitwinkelobjektive für Kleinbild-Spiegelreflex Kameras zu bauen. Das Problem war, dass man wegen des Klappspiegels einen Mindestabstand von etwa 45mm zur Filmebene einhalten musste und so die Rücklinsen der Objektive nicht näher an die Filmebene setzen konnte, was kurze Brennweiten zunächst unmöglich machte.
Im Jahre 1951 erfand dann der Franzose Pierre Angénieux das RETROFOCUS-Prinzip, mit dem sich zunächst einmal 35mm Weitwinkel f:4,5 bauen ließen! Jahrelang gab es keine 35er mit höherer Lichtstärke und auch keine kürzeren Weitwinkel.
In Jena war man schneller .... das UR-Flektogon wurde das erste (ost)deutsche 35mm KB-Weitwinkelobjektiv. 1955 war man dann bei Steinheil auch so weit ..... das oben gezeigte 35mm f:4,5 CULMIGON wurde das erste Steinheil KB-Weitwinkelobjektiv ..... taugt es noch heute??? Wir werden es uns ansehen .... nicht nur an Kleinbild, sogar am FIJI-LARGE FORMAT.

OBJEKTIVE: STEINHEIL MÜNCHEN
Culmigon 35mm f:4,5
Cassar 50mm f:2,8
Culminar 85mm f:2,8
Culminar 135mm f:4,5
Kann's gleich losgehen?? NEIN LEIDER NICHT!
Nach zähen Verhandlungen auf dem Trödel (und ich kann feilschen wie der Getreidehändler


DEAL!

Werde ich es reparieren können?

Und ja ... mit einem Trick kann ich die Blende wieder instand setzen!
Das Problem ist eigentlich ohne Ersatzteile (die es natürlich nicht gibt!) unlösbar! Einmal verbogene Stahlamellen kriegt man nie wieder glatt gezogen.
Sie bleiben immer etwas wellig. Dadurch faltet sich das Lamellenpaket zu dick auf und der Stapel passt nicht mehr zwischen die beiden Führungsscheiben.
Die Blende öffnet nicht mehr, weil die verbogenen Lamellen einfach nicht mehr dazwischen passen wollen.
Ohne Ersatzteil kann man nur eines machen .... eine der Lamellen ausbauen, so dass die verbleibenden dann wieder passen. Oben sieht man, dass weniger mehr ist!
Dass von den ehemals 12 Lamellen jetzt eine fehlt, sieht man nur, wenn man's weiß! Die Blende schließt immer noch FAST kreisrund und öffnet jetzt wieder ganz!


Operation geglückt!
Alte Objektive zu zerlegen ist und bleibt RISKANT! Das erfordert das notwendige Spezialwerkzeug dafür (hat sich bei mir schon sehr gelohnt!) ruhige Hände, viel Geduld
und (ganz klar!) auch Glück! Ich hatte letzteres ... das Objektiv ist wieder einsatzbereit!
Tja .... dann war's ein Trio .... wie wurde es zum Steinheil Quartett??!

Das 135mm Culminar habe ich mir dann im Internet gesucht und gekauft ..... wo die Liebe hinfällt!
Das 135mm kam in sehr gutem Zustand ..... nur die Fokussierung war viel zu schwergängig. Nach 70 Jahren verharzen die uralten Schmierfette leider so sehr, dass es eher in die Richtung Klebstoff geht!
Abhilfe: Natürlich ist es die eleganteste Lösung, die Fokussierung komplett zu zerlegen, zu entfetten und modernes synthetisches Schmierfett einzusetzen.
MACH ICH ABER NICHT GERNE, weil dabei sehr viel schiefgehen kann .... und wenn es nur dazu kommt, dass die Meterskale neu geeicht werden muss!!
Ich habe also nur die Optikeinheit ausgebaut, den leeren Tubus dann im Backofen warm gemacht und in WD40 Kriechöl eingelegt. Dann das Kriechöl in das alte Fett quasi eingedreht und so wieder geschmeidig gemacht .... jetzt läuft die Fokussierung wieder wie in warmer Butter!

SMART REPAIR!


Wird das schöne Quartett an der GFX abliefern? Wir gucken uns das im zweiten Post dann mal zusammen an!
Arbeiten mit den vier Winzlingen:
Reizvoll ist die extreme Kompaktheit dieser vier Objektive, gerade im Vergleich zu den riesigen und klobigen Fuji-Originallinsen .... Abstriche gibt es aber natürlich beim Bedienungskomfort:
Alle vier haben Bokehschöne vielblättrige absolut kreisrund schließende Blenden, die aber natürlich manuell gestellt werden müssen!
Springblende? IST NICHT!
Vorwahlblende? IST AUCH NICHT!
Blendenrastung? GIBT ES NICHT!
Autofokus? DAVON WURDE 30 JAHRE SPÄTER NOCH GETRÄUMT!
Tja .... da muss alles manuell passieren .... echt spartanisch .... aber spannend!

Unterwegs mit den vier STEINHEILIGEN ...... bleibt 'dran ..... es gibt noch Photos zu gucken!

Grüße und schöne Photos
Klaus
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