
Klaus-R
Moderator
- Beiträge
- 21.150

Hallo zusammen,
ähnlich, wie der Filmhersteller ADOX stellte man auch bei AGFA eigene Kameras her, um das Filmgeschäft anzukurbeln.
Unvergessen sind Kameras, wie die AGFA BOX oder die KODAK BROWNIE, die fast zeitgleich Anfang der 1930er Jahre die Massen zur Photographie bringen sollten, eine Rechnung, die nicht nur in Deutschland aufging, sondern weltweit.
Dabei war man bei AGFA in München aber nicht nur daran interessiert, mit möglichst einfachen Boxkameras das Volk zur Photographie zu bringen, sondern man war dort ebenfalls damit beschäftigt, auch anspruchsvoll-hochwertige aber preisgünstige Mittelformatkameras für interessierte Aufsteiger aus der BOX-Szene zu fertigen.
Die AGFA BILLY RECORD 6x9 Faltkamera ist sogar noch etwas älter, als die BOX und geht auf das Jahr 1928 zurück.
Nach dem 2. Weltkrieg fiel in ihrer Namensgebung dann das "BILLY" weg, weil man sich vom homophon klingenden "BILLIG" -Image lossagen wollte.
So richtig funktioniert hat das aber nie ..... der bekannte und bis zum Schluss (Produktionsende 1960) sehr geschätzte 6x9 Falter wurde weiterhin gerne "Billy" genannt.
Das 6x9 Mittelformat:
Das 6x9 Mittelformat ist das größte Standard-Mittelformat, das sich auf dem erfolgreichsten und ältesten Film aller Zeiten, dem Rollfilm TYP 120
realisieren lässt. Im Gegensatz zu Kodak, wo man immer wieder versucht hatte, andere und neue Filmformate einzuführen und durchzusetzen, hat AGFA das nie gemacht. Alle AGFA Mittelformater nutzen den auch heute noch erhältlichen 120er Rollfilm.
Große Vorsicht bitte mit diversen KODAK Kameras, die gerne für den KODAK-Film TYP 620 konfiguriert sind. 620 Film ist leider Ende der 1980er Jahre gestorben.
Es ist zwar nicht unmöglich, Typ 620 Film selber zu wickeln ..... der eigentliche Film ist nämlich dem 120er gleich, aber die Spulen sind dünner! Man kann die Spulen zwar bestellen, aber das zweimalige Umwickeln erst auf Ende, dann wieder auf Anfang, ist schon wirklich sehr viel Murkserei.
Mit einer guten Kamera lassen sich auf diesem riesigen Negativformat qualitativ sehr hochwertige Aufnahmen machen, die aufgrund ihrer sehr geringen Tiefenschärfe einen ganz eigenen FILM-Look haben.
VORKRIEGS-BILLYS:
Ich lehne mich jetzt ganz einfach mal weit aus dem Fenster ..... beweisen kann ich's ja nicht, aber nach allem was ich finden kann und was an vernünftig geschriebenen Quellen erreichbar ist, denke ich, dass sich mit jeder gut erhaltenen Vorkriegs-Billy-Record knackscharfe und hochwertige Aufnahmen machen lassen. Agfa hat da ganz einfach von Anfang an für Qualität gesorgt und sich mit der Billy und dem 6x6 Schwestermodell SILETTE ein wirklich gutes Image geschaffen. Dennoch würde ich eine Nachkriegs BILLY aus folgenden Gründen empfehlen:
Die ganz alten Schätzkes haben vergleichsweise sehr lichtschwache Objektive (F:8,8 / 7,7 / 6,3) je nach Baujahr und auch nach Geldbeutel, denn es gab immer unterschiedlich ausgestattete Modelle .... dazu später.
Vorkriegs Faltkameras haben selten oder fast nie eine Doppelbelichtungssperre, die mir z.B. sehr wichtig ist.
Die Zentralverschlüsse von "ganzdamals" hatten noch keine Blitzsynchronisation, wie sie nach dem Krieg schon selbstverständlich war, als die elektrische Blitzsynchronisation (zumeist noch Birnenblitzgeräte, dann Elektronenblitzgeräte), die abenteuerliche Pyrotechnik ersetzte. Auch fehlen die Vorlaufwerke (Selbstauslöser) oft noch.
Vorkriegs Sucher sind bei den Billys nicht auf dem Qualitätsnieveau der späteren Kisten .... aber wie gesagt .... wer sich in eine ganz alte BILLY verguckt, kann mit einiger Sicherheit von guter Bildqualität ausgehen.
AGFA RECORD 1952
Meiner Information nach hat AGFA die RECORD Produktion 1949 wieder aufgenommen und bis Ende 1951 oder Anfang 1952 ein Zwischenmodell gefertigt, das hier in erster Reihe steht:

Als hätte ich nicht schon genug Billys gehabt (warum vier Stück erzähle ich später noch) hat mich diese 1949er Record auf einem Flohmarkt angelächelt .... sah' sehr traurig aus .... hatte aber Substanz und hab' ich wieder aufarbeiten können.
Die 1949er Billy hat ein sehr seltenes Schneider Kreuznach RADIONAR Objektiv. Leider hat dieses Modell (als einziges in meiner Billy-Sammlung) keine Doppelbelichtungssperre.

Modelle und Ausstattungen ab 1952
Es gab die Modelle RECORD I, RECORD II und RECORD III. Innerhalb dieser Baureihen gibt es verschiedene Ausstattungen.
Objektive:
Alle Objektive haben 105mm Brennweite und fast alle Objektive haben Offenblende 4,5 (105-110mm ist die Normalbrennweite für 6x9 Kameras).
Ganz frühe RECORD I können auch noch ein AGNAR 105mm/ 6,3 haben .... wie gesagt, gibt's, aber sehr selten.
AGNAR (105mm/ 4,5)
RADIONAR (105mm/ 4,5)
APOTAR (105mm/ 4,5)
SOLINAR (105mm/ 4,5)
Ich zeige unten noch, was meine RECORD III mit ihrem APOTAR bildqualitativ abliefert .... ich denke aber mal, dass die allesamt erstklassig zeichnen ..... AGFA hat da (wie gesagt) wohl wirklich für Qualität gesorgt.
Fast alle Billys sind mit GAUTHIER-Qualitäts-Zentralverschlüssen ausgestattet. Wer sich für die Unterschiede bei den Verschlüssen genauer interessiert, der gucke bitte in meinen ADOX GOLF Faden, da habe ich das alles zerlegt .... sind bei AGFA die gleichen Verschlüsse.
ADOX GOLF 6x6 .... DIE VOLKSKAMERA ..... Modelle und mehr .....
In Verbindung mit dem SOLINAR 105er sind einige wenige RECORD III mit einem COMPUR RAPID Verschluss der Firma Friedrich Deckel zu finden. Das sind die einzigen seltenen Stücke, die heute richtig teuer sind und für bis zu 450,-€ den Eigentümer wechseln.
RECORD I
Da habe ich nur das 1949er Modell zur Verfügung, was ich schreibe gilt aber auch für die 1952er Billy .....

- keine Doppelbelichtungssperre und nur Pronto-Verschluss (Vorlaufwerk, aber keine langen Verschlusszeiten (1/25s / 1/50s / 1/100s / 200s und B)
Meist AGNAR 4,5, selten AGNAR 6,3 Optik.
RECORD II

-Doppelbelichtungssperre vorhanden, PRONTOR-Verschluss (Alle Zeiten von 1/250s bis 1s und B + Vorlaufwerk)
APOTAR 105mm / 4,5 Optik
RECORD III


Zusätzlich zu den Ausstattungsdetails der RECORD II ist das Topmodell RECORD III mit einem integrierten Messsucher ausgestattet.
Mit diesem Mischbild-Entfernungsmesser kann die Entfernung zum Motiv zur genauen Fokussierung bestimmt werden.
Allerdings ist der Entfernungsmesser nicht "gekoppelt" sondern "ungekoppelt".
Will sagen, man muss den ermittelten Entfernungswert am Rändelrädchen ablesen und dann am Objektiv einstellen.
Das ist MF aus dem "Reich der Vorsintflut" .... wie auch immer .....das geht zumindest sehr genau, auch wenn es umständlich ist.
Tiefenschärfen-Skale .......
Eine wirklich gute Idee war es, ab dem 1952er Modell eine einstellbare (drehbare) Tiefenschärfen-Scale zu verbauen ....

Man kann so für jede Blende ablesen, in welchem Entfernungsbereich ausreichende Tiefenschärfe entsteht.
Fokussieren mit der Billy .....
Leider sind die RECORD III Modelle wegen ihres Entfernungsmessers erheblich teurer, als eine vergleichbare RECORD II.
Nachvollziehbar ist das schon, denn bei den beiden Schwestermodellen kann man die Entfernung zum Motiv ja nur schätzen, oder extern messen ......
Schätzen ist Mist!! 6x9 Aufnahmen müssen wirklich ganz genau fokussiert werden, eben weil ja so wenig Tiefenschärfe vorhanden ist.
Ich empfehle daher für die Modelle I und II einen Aufsteck-Entfernungsmesser zu verwenden. Da reicht dann ja einer für alle anderen Kameras mit, denn man kann ihn ja nun leicht von einer zur anderen Kamera migrieren.
Hier mal ein solches Teilchen ......


Belichtungsmessung:
Keine Billy hat eingebaute Belichtungsmessung! Es muss also ein externer Belichtungsmesser zum Einsatz kommen.
Meinen Gossen SIXTOMAT aus 1956 hatte ich ja schon mehrfach vorgestellt und empfohlen.
Es gibt eine hübsche und sehr praktische Alternative zu einem Handbelichtungsmesser:
Den KODALUX ....... eigentlich ein GOSSEN, der für KODAK hergestellt wurde, aber natürlich auch an einer AGFA hervorragende Dienste leistet.


Über dieses hübsche und sehr genaue "Lichtmesserchen" bis ich die Tage mal beim Schmökern gestolpert ..... musste ich haben!
Der kleine GOSSEN ist batterieunabhängig!
Eine Selenzelle erzeugt den Messstrom selber. Wie bei allen damaligen Selenmessern kann auch der KODALUX nur dann überlebt haben, wenn er DUNKEL über die Jahre gekommen ist. Lag er jahrzehntelang offen im Licht, dann ist er leider kaputt .... die Selenzelle verträgt leider keine jahrelange Dauerbelichtung. Wer sich also für einen historischen Selen-Lichtmesser interessiert, sollte darauf achten, dass die original kleine Ledertasche gleich mit dabei ist .... dann war der nämlich mit einiger Sicherheit auch da drin.
Filmtransport:
Wie bei fast allen Faltern ist auch bei der AGFA der Filmtransport manuell und über die Zählspur auf dem Filmträgerpapier realisiert.
Gut gemacht ist, dass das Zählfenster automatisch über eine Feder schließt, um den Film vor grellem Sonnenlicht zu schützen.

ERGONOMIE:
Sehr gut!!
Die Billy macht auch deswegen Spaß, weil sie gut in der Hand liegt, ordentlich und griffig beledert ist, einen rechten Gehäuseauslöser hat (keine Linksauslösung, wie meine "verrückte" Rodenstock Citonette). Alles ist leichtgängig und passgenau .... bei allen vier Kameras.
Das Laden der Kamera ist sehr einfach, die Mechanik dafür klasse durchdacht.



TYPISCHE MÄNGEL:
Ja, die gibt es leider auch! Der Kreis schließt sich und ich kann bei dieser Gelegenheit auch auflösen, warum ich gleich zwei 1952er Record II Kameras habe ......
Alle Billys haben gute Lichtfallen am Rückdeckel. Lichteinfallprobleme am Deckel sind nicht bekannt. Wie bei vielen anderen Faltern wird von schadhaften Balgen berichtet. Ich hatte bei allen vier Kameras tadellos erhaltene Balgen vorgefunden.
Neben möglicherweise nicht mehr lichtdichten Balgen, haben nicht wenige Billys das übele Problem, dass Das Fokus-Feingewinde festgeht und mit fest meine ich WIRKLICH BOMBENFESTFEST.
Die Billy wird dadurch fokussiert, dass nur die Frontlinsen in Relation zu Mittel und Rücklinse verstellt wird. Leider gammelt dieser sog. "Fokusgang" auch bei Kameras fest, die ansonsten wirklich gut erhalten zu sein scheinen. Dann aber ist guter Rat sehr teuer, denn man kriegt die Optik in diesem traurigen Fall leider nicht zerlegt.
Lösemittel und Wärme waren zwecklos und der Verzweifelungsakt war dann, mit einer Wasserpumpenzange Frontlinse und Zwischenlinse zusammen aus dem Verschlussgehäuse zu drehen .... und "KNACK" ... das war's! Die Messingeinfassung der Linsen ist einfach zu weich, verzieht sich und geht einfach kaputt.
Ich musste also eine weitere Record kaufen .... und .... welche Überraschung?! Genau das selbe Problem.
Vielen Dank an dieser Stelle am meinen MOD-Kollegen Oz75, der es dann schaffte, diese Linsengruppe zu trennen .... leider aber auch nicht ganz ohne Verzug der Teile .... zumindest konnte aber eine der beiden Record mit viel Fummelei wieder indienstgestellt werden. Die Fokussierung ist noch etwas schwergängig, geht aber immer leichter.
Dann habe ich eine Optik-Verschluss-Einheit einzeln bekommen können ... und VERDAMMT NOCHMAL .... da war es wieder .... mein Problem .... festsitzender Fokusgang.
KURZ .... ich habe eine Lösung gefunden, wie man dieses Problem (kann ja kein Einzelfall mehr sein) elegant und schonend löst:


Leider benötigt man dafür gleich zweilmal einen sog. Objektivschlüssel, ein Spezialwerkzeug zum Zerlegen und Zusammenbauen von Optikgerätschaften.
Erst wird der Außenring gekerbt und dann Frontlinse und Zwischenlinse komplett aus dem Verschlussgehäuse herausgeschraubt.
Die dafür erforderlichen Angriffkerben in beiden Messingringen habe ich mit einem Dremelwerkzeug und einer Mikrotrennscheibe hergestellt.
Das Gewinde muss trotzdem mehrmals vor dem Löseversuch mit Kriechöl behandelt werden, das am besten im Backofen bei 65 Grad einwirkt.
Hier sieht man das korrodierte (noch nicht gereinigte) Messinggewinde(Fokusgang bzw. Frontlinseneinfassung).

Warum es an dieser Stelle gerade zu solchen Korrosionsproblemen kommt, ist mir schleierhaft, gerade dann, wenn die Kameras ansonsten tadellos erhalten sind .... es ist so.
Fazit .... ich konnte auf diese Weise die zuvor "verlorene" erste AGFA RECORD II auch wieder indienst stellen.
Wenn man die Optik einer solchen Faltkamera einmal zerlegt hat, reicht es leider nicht, alles einfach wieder zusammenzubauen. Die Kamera hat anschließend leider keine exakte Fokuslage mehr und muss diesbezüglich neu kalibriert werden. Dazu braucht man eine Hilfsmattscheibe, die wirklich auf's Haar genau in der Fokusebene liegt.
Ich empfehle zu diesem Zweck die mattierte Deckscheibe eines Schnellhefters, die man genau zuschneidet und dann mit Klebeband in die Filmebene klebt.
Um die Fokuslage exakt einstellen zu können verwende ich eine Briefmarkenlupe.


Kalibriert wird bitte immer der Unendlichfokus!! Leider gibt es im Netz ein Tutorial, bei dem jemand behauptet, man solle auf 4m Entfernung kalibrieren .... bitte NICHT, denn es passt dann nicht. Wenn Unendlich stimmt, dann stimmen die 4m natürlich auch.
Kontrollmessung mit 3m:

Zwei von drei ungeprüften Zentralverschlüssen funktionieren zunächst nicht!
Gauthier oder Deckel Zentralverschlüsse sind absolute Spitzenfeinmechanik (made in Germany) und haben selten oder nie wirklich was. Ich habe noch keinen einzigen komplett zerlegen müssen .... die brauchen alle nur einen "Quick and Dirty" Pflegedienst bei allerdings ausgebauter Optik und Teilzerlegung. Ist einfach! Bei Interesse gerne mehr. Ansonsten hatte ich die Verschlussprobleme in meinem ADOX-Golf Faden ja auch schon angesprochen.
Bildqualität:
Phantastisch gut!
Wie ich oben ja schon mutig behaupte, gehe ich davon aus, dass alle verbauten Objektive sehr hochwertig und "mittelformatwürdig" abliefern.
Ich zeig's jetzt mal an einer Testaufnahme mit meiner RECORD III, die ein APOPTAR Objektiv verbaut hat.
Die Szene:

Mittencrop bis an das Filmkorn

Äußerste Bildecke unten rechts, selber Cropmaßstab, wie Bildmitte:

Die Agfa liefert tadellos und knackscharf an diesem riesigen 6x9cm großen Bildkreis ab. Knackschärfe ohne merklichen Abfall bis in die Bildecken, keine erkennbare Vignettierung und das mit einem für die Zeit und für das Negativformat sogar recht lichtstarken Objektiv.
KAUFEMPFEHLUNG:
Wer sich in Sachen Film-Photographie für das größte Mittelformat entscheidet und den Look für bezahlbares Geld haben möchte, der macht mit einer BILLY ganz bestimmt keinen Fehler.
Sie ist auch dann noch günstig, wenn jemand, der nicht selber reparieren kann oder will, sicherheitshalber ein gewerbliches Angebot nutzt und für eine "filmgeprüfte" Billy mit Gewährleistung etwas mehr bezahlt. Aufgrund der oben ja beschriebenen Probleme muss man sich mit der Kameratechnik schon sehr gut auskennen und auch die Werkzeuge dafür besitzen.
Kameras zum Aufarbeiten bekommt man fast geschenkt. Kurz: Ich würde eine geprüfte RECORD II als 1952er Modell mit PRONTOR-S Verschluss empfehlen. Die RECORD I hat ja eben keine Doppelbelichtungssperre und nur den PRONTO Verschluss.
Eine geprüfte RECORD III ist im Vergleich erheblich teurer (mit Gewährleistung und revidiert sowieso), so dass ich eine 2er und dazu einen Aufsteck- Entfernungsmesser für eine gute Wahl halte.
Fragen, Ergänzungen oder Kritik sehr gerne......

Grüße und rettet Film
Klaus
Zuletzt bearbeitet: